Vorerwerb und Nacherwerb: So werden frühere Schenkungen berücksichtigt (Zehnjahresfrist)

Wer es geschickt anstellt, kann zu Lebzeiten einen Großteil seines Vermögens steuerfrei verschenken. Allerdings sollte man dabei beachten, dass alle Erwerbe innerhalb von zehn Jahren zusammengerechnet werden. Das hat zur Folge, dass insbesondere die persönlichen Freibeträge innerhalb des Zehnjahreszeitraums nur einmal beansprucht werden können.

 

Wann zählt ein früherer Erwerb?

Mehrere Erwerbe werden unter diesen Voraussetzungen zusammengerechnet (§ 14 ErbStG):

  • Zwei oder mehr Erwerbe
  • stammen von derselben Person,
  • gehen innerhalb von zehn Jahren
  • an denselben Empfänger.

Beispiel:

Paul erhält von seinem Vater am 4.4.2016 einen Betrag von 400.000 Euro geschenkt. Am 10.12.2020 verstirbt der Vater und hinterlässt Paul ein Vermögen in Höhe von 200.000 Euro. In diesem Fall werden die beiden Erwerbe durch Schenkung und Erbschaft zusammengerechnet, denn sie stammen von derselben Person (Vater), gehen an denselben Empfänger (Paul), und seit der Schenkung am 4.4.2016 sind auch noch keine zehn Jahre vergangen.

Abwandlung:

Paul hat die Schenkung bereits 2009 erhalten. In diesem Fall liegen zwischen den Erwerben mehr als zehn Jahre, sie werden deshalb nicht zusammengerechnet.

Praxistipp:

Wollen Eltern ihren Kindern Vermögen durch Schenkung übertragen, sollte klar geregelt sein, wer Schenker ist – also ob beide Elternteile gemeinsam schenken oder ob nur ein Elternteil alleine schenkt. Dies kann für weitere Schenkungen bzw. im Erbfall innerhalb des Zehnjahreszeitraums bedeutsam sein.

Beispiel:

Die Eltern schenken ihrer Tochter im Jahr 2018 gemeinsam einen Betrag von 400.000 Euro. Im Jahr 2021 verstirbt der Vater und hinterlässt seiner Tochter weitere 350.000 Euro.

Der Erwerb durch die Erbschaft ist nur mit dem Vorerwerb vom Vater zusammenzurechnen, also 200.000 Euro (= ½ von 400.000 Euro). Der Gesamterwerb der Tochter beträgt demnach 550.000 Euro (= 200.000 Euro + 350.000 Euro). Der Von der Mutter geschenkte Anteil bleibt hier bei der Zusammenrechnung außen vor.

Hätte nur die Mutter die Schenkung der 400.000 Euro vorgenommen, würde es gar nicht zu einer Zusammenrechnung kommen.

So wird die Zehnjahresfrist berechnet

Die Berechnung der Zehnjahresfrist orientiert sich am Zeitpunkt der Entstehung der Steuer für den jeweiligen Erwerb. Bei einer Erbschaft ist dies der Todestag des Erblassers. Bei einer Schenkung zählt der Tag ihrer Ausführung.

Gerechnet wird rückwärts, dabei ist der Tag des letzten Erwerbs mitzuzählen.

Gut zu wissen:

Fällt das Ende des Zehnjahreszeitraums auf einen Samstag, Sonntag oder Feiertag, hat dies keine Bedeutung, insbesondere erfolgt keine Verschiebung des Fristendes auf den nächsten Werktag (R E 14.1 ErbStR).

Beispiel:

Chris hat am 22.10. Geburtstag. Zu seinem 20. Geburtstag am 22.10.2011 erhält er von seiner Oma 250.000 Euro geschenkt. Zu seinem 30. Geburtstag am 22.10.2021 erhält er die gleiche Summe.

Der 22.10.2021 zählt bei der Berechnung des Zehnjahreszeitraums mit, sodass dieser – rückwärts gerechnet – am 23.10.2011 endet.

Das bedeutet: Die beiden Schenkungen von der Oma werden nicht zusammengerechnet, weil sie nicht innerhalb von zehn Jahren erfolgten.

Dass der 23.10. im Jahr 2011 auf einen Sonntag fällt, spielt keine Rolle für die Fristberechnung.

So wird die Zusammenrechnung durchgeführt

Die Zusammenrechnung mehrerer Erwerbe erfolgt in drei Schritten:

  1. Im ersten Schritt ist der Wert des gesamten Erwerbs innerhalb des Zehnjahreszeitraums zu ermitteln.
  2. Im zweiten Schritt zieht man von dem Gesamterwerb den persönlichen Freibetrag ab und berechnet von dem steuerpflichtigen Erwerb die Steuer.
  3. Im dritten Schritt muss schließlich von der Steuer auf den Gesamterwerb nun noch die Steuer abgezogen werden, die für den Vorerwerb zu erheben gewesen wäre, und zwar ermittelt im Zeitpunkt des letzten Erwerbs (fiktive Steuer). Alternativ ist die auf den Vorerwerb tatsächlich zu entrichtende Steuer abzuziehen, wenn diese höher als die fiktive Steuer ist.

Beispiel:

Angelika bekommt von ihrer Mutter am 5.5.2016 einen Betrag von 550.000 Euro geschenkt. Am 12.7.2021 verstirbt die Mutter. Sie hinterlässt Angelika ein Vermögen von insgesamt 600.000 Euro (Steuerfreibeträge sind bereits berücksichtigt).

So wird gerechnet:

1. Gesamterwerb
Erster Erwerb am 5.5.2016550.000 Euro
Zweiter Erwerb am 12.7.2021600.000 Euro
Gesamterwerb1.150.000 Euro
2. Abzug persönlicher Freibetrag und Berechnung der Steuer
Gesamterwerb1.150.000 Euro
./. persönlicher Freibetrag./. 400.000 Euro
steuerpflichtiger Gesamterwerb750.000 Euro

Steuer auf den steuerpflichtigen Gesamterwerb:

19 % von 750.000 Euro =

142.500 Euro
3. Abzug der Steuer auf den Vorerwerb
Erster Erwerb am 5.5.2016550.000 Euro
./. persönlicher Freibetrag./. 400.000 Euro
steuerpflichtiger Vorerwerb150.000 Euro

(fiktive) Steuer auf den Vorerwerb

(entspricht hier auch der tatsächlichen Steuer):

11 % von 150.000 Euro =

16.500 Euro
Steuer Gesamterwerb142.500 Euro
./. Steuer Vorerwerb./. 16.500 Euro
festzusetzende Steuer126.000 Euro

Fiktive und tatsächlich zu zahlende Steuer weichen insbesondere dann voneinander ab, wenn sich zwischen den Erwerben die persönlichen Verhältnisse des Erwerbers ändern. Auch Gesetzesänderungen können zu Abweichungen führen, zum Beispiel wenn sich die persönlichen Freibeträge oder die Steuersätze ändern.

Beispiel:

Jasper schenkt seiner langjährigen Lebensgefährtin Jasmin im Jahr 2017 einen Betrag von 50.000 Euro. Im Jahr 2020 heiraten die beiden. Anfang 2021 verstirbt Jasper überraschend und hinterlässt Jasmin 650.000 Euro. Zum Zeitpunkt der Schenkung gilt für Jasmin als Lebensgefährtin die Steuerklasse III, beim Erbfall als Ehefrau die Steuerklasse I. Wie hoch ist die von Jasmin zu zahlende Steuer?

1. Gesamterwerb
Erster Erwerb 201750.000 Euro
Zweiter Erwerb 2021650.000 Euro
Gesamterwerb700.000 Euro
2. Abzug persönlicher Freibetrag und Berechnung der Steuer
Gesamterwerb700.000 Euro
./. persönlicher Freibetrag./. 500.000 Euro
steuerpflichtiger Gesamterwerb250.000 Euro

Steuer auf den steuerpflichtigen Gesamterwerb:

11 % von 250.000 Euro =

27.500 Euro
3. Abzug der Steuer auf den Vorerwerb
Erster Erwerb 201750.000 Euro
./. persönlicher Freibetrag (Steuerklasse III)./. 20.000 Euro
steuerpflichtiger Vorerwerb30.000 Euro

(fiktive) Steuer auf den Vorerwerb:

7 % von 30.000 Euro (Steuerklasse I) =

2.100 Euro

tatsächliche Steuer auf den Vorerwerb:

30 % von 30.000 Euro (Steuerklasse III) =

9.000 Euro
Hier ist die tatsächliche Steuer höher als die fiktive Steuer, deshalb ist die tatsächliche Steuer anzusetzen:
Steuer Gesamterwerb27.500 Euro
./. Steuer Vorerwerb./. 9.000 Euro
festzusetzende Steuer11.500 Euro

Achtung Höchstbetrag

Die durch den weiteren Erwerb veranlasste Steuer darf nicht höher sein als 50 % dieses Erwerbs (§ 14 Abs. 3 ErbStG). Beträgt also der Nacherwerb 10.000 Euro, darf die Steuer nicht höher sein als 5.000 Euro.

Diese Regelung dürfte vor allem dann zum Tragen kommen, wenn der Vorerwerb hoch besteuert wurde und der Nacherwerb gering ausfällt.

Fazit

Durch die Berücksichtigung von Vorerwerben innerhalb von zehn Jahren wird verhindert, dass insbesondere bei mehreren Schenkungen innerhalb kurzer Zeit der persönliche Freibetrag mehrmals zur Anwendung kommt – und damit kaum noch Steuer zu zahlen wäre. Wer seine Schenkungen jedoch zeitlich gut plant, kann trotzdem Steuern sparen.