Kunstgegenstände können zu 60 % oder komplett steuerfrei geerbt werden

„Ist das Kunst oder kann das weg?“ Die Frage wird sich ein Erbe bestimmt bei dem ein oder anderen geerbten Gegenstand stellen. Doch sollte hier nicht vorschnell entsorgt werden. Denn der Wert eines Gemäldes oder einer Skulptur ist auf den ersten Blick für einen Laien oft schwer erkennbar. Auch aus steuerlicher Sicht lohnt sich ein zweiter Blick. Denn selbst bei teuren und bedeutsamen Kunstwerken sieht das Gesetz großzügige Steuerbefreiungen vor.

 

Was ist eigentlich ein „Kunstgegenstand“?

Unter den Begriff Kunstgegenstand fällt alles, was zur sogenannten „bildenden Kunst“ gerechnet wird. Das sind: Gemälde, Plastiken, Skulpturen, Grafiken, Fotografien usw.

Nicht unter den Begriff Kunstgegenstand fallen hier zum Beispiel Gebäude, Street-Art oder Denkmäler – für letztere gibt es eine eigene Steuerbefreiung.

Erwirbt der Erbe eine ganze Sammlung an Kunstgegenständen, kann er für diese grundsätzlich ebenfalls die Steuerbefreiung in Anspruch nehmen, soweit die Voraussetzungen für jeden Gegenstand der Sammlung erfüllt sind.

Wer kann die Steuerbefreiung in Anspruch nehmen?

Die Steuerbefreiung für Kunstgegenstände kann von jedem Erben, der entsprechende Gegenstände erbt, beansprucht werden, und zwar unabhängig von seiner Steuerklasse.

Die Steuerbefreiung für Kunstgegenstände: Die Voraussetzungen im Überblick

Ein geerbter Kunstgegenstand kann entweder mit 60 % oder komplett steuerfrei sein (§ 13 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG).

Wichtig:

Der Wert der Gegenstände spielt keine Rolle. Die Steuerbefreiung sieht keine Wertobergrenze vor, sodass auch sehr teure Kunstwerke von der Erbschaftssteuer befreit sein können.

Das sind die Voraussetzungen für die 60-prozentige Steuerbefreiung:

  1. Die Erhaltung des Gegenstandes liegt im öffentlichen Interesse, weil er für Kunst, Geschichte oder Wissenschaft bedeutsam ist.
  2. Die jährlichen Kosten übersteigen in der Regel die erzielten Einnahmen.
  3. Die Gegenstände werden für die Forschung oder die Volksbildung nutzbar gemacht.
  4. Der Gegenstand befindet sich im Inland, in einem EU- oder einem EWR-Land.

Das sind die Voraussetzungen für die vollständige Steuerbefreiung:

  1. Die Erhaltung des Gegenstandes liegt im öffentlichen Interesse, weil er für Kunst, Geschichte oder Wissenschaft bedeutsam ist.
  2. Die jährlichen Kosten übersteigen in der Regel die erzielten Einnahmen.
  3. Die Gegenstände werden für die Forschung oder die Volksbildung nutzbar gemacht.
  4. Der Gegenstand befindet sich im Inland, in einem EU- oder einem EWR-Land.
  5. Der Erbe ist bereit, den Gegenstand den geltenden Bestimmungen der Denkmalpflege zu unterstellen.
  6. Der Gegenstand befindet sich seit mindestens 20 Jahren im Besitz der Familie (sog. Vorbesitzzeit) oder der Gegenstand ist in ein Verzeichnis national wertvoller Kulturgüter eingetragen.

Gut zu wissen:

Die Voraussetzungen 1. bis 4. sind bei beiden Steuerbefreiungen gleich. Für die vollständige Steuerbefreiung müssen zusätzlich weitere Voraussetzungen erfüllt sein (5. und 6.).

1. Voraussetzung: Der Gegenstand ist für Kunst, Geschichte oder Wissenschaft bedeutsam

Kunst liegt im Auge des Betrachters – soll heißen: Jeder hat seinen eigenen Geschmack was Kunst angeht. Was einer für bedeutsame Kunst hält, ist für den anderen nur mit geschlossenen Augen zu ertragen.

Dieses Dilemma war wohl auch der Finanzverwaltung bewusst. Denn ob die Erhaltung eines Gegenstandes tatsächlich wegen seiner Bedeutung für Kunst, Wissenschaft oder Geschichte im öffentlichen Interesse liegt, ist nicht Sache des Erben und schon gar nicht seine Entscheidung. Auch das Finanzamt soll hier nicht urteilen müssen.

In Zweifelsfällen – und das werden die meisten Erbfälle sein – ist deshalb ein Gutachten der landesrechtlich zuständigen Behörde erforderlich (R E 13.2 Abs. 3 ErbStR). Aus diesem muss sich ergeben, ob der Kunstgegenstand bedeutsam ist und dass seine Erhaltung im öffentlichen Interesse liegt.

Gut zu wissen:

Dieses Gutachten muss der Erbe vorlegen, der die Steuerbefreiung in Anspruch nehmen will.

2. Voraussetzung: Die jährlichen Kosten übersteigen die Einnahmen

Kunstgegenstände, bedeutsame noch dazu, können richtig wertvoll sein. Wer sie zu Hause aufbewahrt, erzielt damit in aller Regel keine Einnahmen, hat aber ggf. Ausgaben: Versicherungsprämien, Installation und Wartung der Alarmanlage, Ausgaben für Restaurationsarbeiten, Stromkosten der Klimaanlage u. ä. Damit wäre diese Voraussetzung auch schon erfüllt.

3. Voraussetzung: Der Gegenstand wird für Forschung oder Volksbildung nutzbar gemacht

Das bedeutet nichts anderes, als dass die Kunstgegenstände der Allgemeinheit zugänglich sein müssen, mindestens aber den interessierten Kreisen (R E 13.2 Abs. 4 ErbStR).

Wer also bedeutsame Kunstgegenstände zu Hause ausstellt, aber niemandem zeigen möchte, kann die Steuerbefreiung nicht in Anspruch nehmen.

Praxistipp:

Die Gegenstände müssen jedoch nicht unbedingt tatsächlich für Forschung und Volksbildung genutzt werden. Es reicht aus, wenn sie für die entsprechenden Zwecke zur Verfügung stehen. Dies weist der Erbe am besten durch eine Bescheinigung bzw. ein Gutachten der landesrechtlich zuständigen Behörden nach.

4. Voraussetzung: Der Gegenstand befindet sich im Inland, in einem EU-/EWR-Land

Eine vorübergehende Ausstellung im Nicht-EU-/EWR-Ausland ist nicht schädlich für die Steuerbefreiung. Der Erbe darf seinen Kunstgegenstand also zum Beispiel in den USA oder in China präsentieren. Wichtig ist, dass dies nicht auf Dauer angelegt ist, sondern der Gegenstand in absehbarer Zeit ins Inland bzw. in ein EU-/EWR-Land zurückkehrt (R E 13.2 Abs. 1 Satz 1 ErbStR).

5. Voraussetzung: Der Gegenstand wird der Denkmalpflege unterstellt

Der Erbe muss bereit sein, den Gegenstand den Bestimmungen der Denkmalpflege zu unterstellen. Bei beweglichen Gegenständen, wie zum Beispiel Gemälden oder Skulpturen, erreicht man die Denkmaleigenschaft durch die Eintragung in das Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes (H E 13.2 ErbStH).

Hierzu kontaktiert man am besten die Denkmalschutzbehörde.

Alternativ bietet sich auch ein Leih- oder Kooperationsvertrag mit einer Museumsstiftung auf zum Beispiel zehn Jahre an. In einem solchen Vertrag verpflichtet sich der Erbe, den Kunstbesitz ganz oder teilweise für Ausstellungszwecke, Forschung oder Wissenschaft zur Verfügung zu stellen und, falls es sich um eine Sammlung handeln sollte, diese zu erhalten (Bundesfinanzhof, Urteil vom 12.5.2016, II R 56/14).

Praxistipp:

Der Bundesfinanzhof erwartet vom Erben, dass dieser innerhalb von sechs Monaten nach dem Erwerb tätig wird. Wer zu lange überlegt, ob und wie er seine geerbten Kunstgegenstände der Denkmalpflege unterstellen will, setzt die Steuerbefreiung aufs Spiel.

6. Voraussetzung: Vorbesitzzeit eingehalten oder Eintragung in ein Verzeichnis national wertvoller Kulturgüter

Die Gegenstände müssen sich mindestens seit 20 Jahren im Besitz der Familie befinden. Das ist die sogenannte Vorbesitzzeit.

Oder – falls der Gegenstand noch nicht 20 Jahre im Familienbesitz ist: Der Kunstgegenstand ist in ein Verzeichnis national wertvoller Kulturgüter eingetragen.

Das bedeutet: Für Gegenstände, die sich noch keine 20 Jahre im Familienbesitz befinden und in keinem Verzeichnis national wertvoller Kulturgüter eingetragen sind, kann es keine vollständige Steuerbefreiung geben, sondern höchstens die 60-prozentige.

Gut zu wissen:

Jeder Gegenstand ist für sich zu betrachten. Deshalb müssen sich bei einer geerbten Kunstsammlung die einzelnen zur Sammlung gehörenden Werke jeweils 20 Jahre in Familienbesitz befunden haben.

Beispiel:

Die geerbte Kunstsammlung besteht aus Bildern eines namhaften Künstlers, die der Erblasser während seines Lebens zusammen getragen hat. Von den insgesamt zehn Werken sind neun seit mehr als 20 Jahren in seinem Besitz, eines erst seit drei Jahren. Dieses eine Bild kann der Erbe nicht zu 100 % steuerfrei erben, da die Vorbesitzzeit nicht erfüllt ist. Da das Bild auch in keinem Verzeichnis national wertvoller Kulturgüter eingetragen ist, kommt nur die 60-prozentige Steuerbefreiung in Betracht.

Praxistipp:

In jedem Bundesland gibt es ein Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes. Auch existiert ein Internetportal zum Kulturgutschutz. Unter www.kulturgutschutz-deutschland.de finden sich viele Informationen rund um Kulturgüter, die Datenbank geschützter Kulturgüter und vor allem ein Behördenfinder, mit dem man die für seine Frage zuständige Behörde ermitteln kann.

Achtung: Die Steuerbefreiung kann rückwirkend entfallen

Die Steuerbefreiung kann mit Wirkung für die Vergangenheit wegfallen (§ 13 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 ErbStG). Das ist der Fall, wenn

  • die Kunstgegenstände innerhalb von zehn Jahren nach dem Erwerb verkauft werden oder
  • innerhalb von zehn Jahren nach dem Erwerb die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung entfallen.

Rückwirkend bedeutet: Hat der Erbe zunächst alle Voraussetzungen für die Steuerbefreiung erfüllt, entfallen aber später eine oder mehrere Voraussetzungen, gilt der Erwerb der Kunstgegenstände von Anfang an als steuerpflichtiger Erwerb, für den der Erbe dann ggf. Erbschaftssteuer zahlen muss.

Beispiel:

Die Steuerbefreiung fällt rückwirkend weg, wenn der Erbe nach sechs Jahren umzieht und sich damit der Kunstgegenstand nicht mehr im Inland oder einem EU-/EWR-Land befindet.

Steht der Kunstgegenstand zunächst der Forschung und Volksbildung zur Verfügung, gewährt aber der Erbe nach drei Jahren keinen Zugang mehr, weil ihm die Besucher in seinem Privathaus auf die Nerven gehen, entfällt die Steuerbefreiung ebenfalls rückwirkend.

Was passiert mit den Schulden und Lasten des geerbten Kunstgegenstandes?

Wenn der Kunstgegenstand steuerfrei geerbt wird, sind damit zusammenhängende Schulden und Lasten nicht abzugsfähig (§ 10 Abs. 6 ErbStG).

Auf die Steuerbefreiung für Kunstgegenstände kann der Erbe jedoch verzichten. Dann ist der Erwerb zwar steuerpflichtig, aber dafür Schulden und Lasten sind abziehbar.

Praxistipp:

Ein Verzicht ist vor allem bei einer Überschuldung des Gegenstands empfehlenswert. So vermeidet man, für einen wertvollen Gegenstand Erbschaftssteuer zahlen zu müssen, der tatsächlich mit hohen Schulden belastet ist.

Praktische Bedeutung gleich null?

Einen verschollenen Picasso oder einen unbekannten Rembrandt im Keller hinter den alten Liegestühlen zu finden – wäre nicht schlecht und dazu noch steuerlich begünstigt. Doch tatsächlich dürfte dies für Ottonormal-Erbe eher ein Traum bleiben. Teuren Kunstbesitz können sich auch nur die wenigsten leisten, weshalb die Steuerbefreiung für Kunstgegenstände in der Praxis wohl eher selten zur Anwendung kommen dürfte.