Für ein Mehrfamilienhaus – das Gesetz spricht von Mietwohngrundstück – kommt nur ein Bewertungsverfahren infrage: das Ertragswertverfahren. Die anderen Bewertungsverfahren, also das Vergleichswert- und das Sachwertverfahren, sind hier nicht anwendbar.
Was ist ein „Mietwohngrundstück“?
Mietwohngrundstücke sind Grundstücke, die mehr als zwei Wohnungen enthalten. Darüber hinaus müssen sie zu mehr als 80 % Wohnzwecken dienen. Die Berechnung der Nutzungsanteile erfolgt nach der Wohn- und Nutzfläche.
Weiterhin darf das Gebäude kein Ein- oder Zweifamilienhaus oder Wohnungseigentum sein.
Beispiel:
Ein Gebäude hat eine Gesamtfläche von 400 qm. Im Erdgeschoss befindet sich eine kleine Rechtsanwaltskanzlei. Deren Räume haben eine Fläche von 60 qm. In den Obergeschossen befinden sich drei Mietwohnungen. Die Wohnfläche beträgt insgesamt 340 qm. Die Nutzung zu Wohnzwecken liegt bei 85 %. Damit liegt ein Mietwohngrundstück vor.
Bewertung nur im Ertragswertverfahren
Für Mietwohngrundstücke ist nur ein Bewertungsverfahren vorgesehen: das Ertragswertverfahren.
Beim Ertragswertverfahren werden Gebäude und Grund und Boden getrennt bewertet (§ 184 Abs. 1 BewG):
- Die Bewertung des Grund und Bodens erfolgt wie bei einem unbebauten Grundstück.
- Für die Bewertung des Gebäudes wird ein Gebäudeertragswert ermittelt.
Gut zu wissen:
Grundlage für die Bewertung ist der Rohertrag. Darunter versteht man in erster Linie die vertraglich vereinbarte tatsächliche Miete, die sich aus den entsprechenden Mietverträgen ergibt. Sollte für eine Wohnung keine tatsächliche Miete vorhanden sein, zum Beispiel weil ein Angehöriger kostenfrei dort wohnen darf, und lässt sich auch keine ortsübliche Miete ermitteln, darf das Finanzamt im Rahmen der Bewertung die Miete dieser Wohnung schätzen.
Bewirtschaftungskosten können im Rahmen des Ertragswertverfahrens nicht in tatsächlicher Höhe berücksichtigt werden. Stattdessen gibt es seit 1.1.2023 feste Basiswerte für Verwaltungskosten, Instandhaltungskosten und das Mietausfallwagnis, die jährlich angepasst werden.
Wichtig:
Betriebskosten, die die Mieter selbst bezahlen oder die der Vermieter auf die Mieter umlegt, bleiben beim Ertragswertverfahren unberücksichtigt. Das gilt zum Beispiel für Energiekosten, die Gebäudeversicherungen und die Grundsteuer.
Ertragswertverfahren: So wird gerechnet
Beispiel:
Ein Mehrfamilienhaus mit sechs Wohnungen hat eine Wohnfläche von insgesamt 480 qm, das Grundstück ist 800 qm groß. Jede Wohnung verfügt über eine Garage. Die weiteren Eckdaten:
vereinbarte tatsächliche Miete: 720 Euro pro Monat pro Wohnung, insgesamt 51.840 Euro/Jahr
Baujahr: 2008
wirtschaftliche Gesamtnutzungsdauer (Anlage 22 zum BewG): 80 Jahre
Restnutzungsdauer in 2023: 65 Jahre
Bewirtschaftungskosten (Anlage 23 zum BewG, indizierte Werte für 2023):
- Verwaltungskosten: 6 × 344 Euro (Wohnungen) + 6 × 45 Euro (Garagen) = 2.334 Euro
- Instandhaltungskosten: 480 qm × 13,50 Euro (Wohnungen) + 6 × 102 Euro (Garagen) = 7.092 Euro
- Mietausfallwagnis: 2 % von 51.840 Euro (Rohertrag) = 1.036,80 Euro
- Gesamt: 10.462,80 Euro
Liegenschaftszinssatz: 3,5 %
Vervielfältiger (Anlage 21 zum BewG): 25,52
Bodenrichtwert 340 Euro/qm
So wird gerechnet:
Bewertung Grund und Boden:
Bodenwert = Fläche des Grundstücks × Bodenrichtwert
800 qm × 340 Euro/qm = 272.000 Euro
Bewertung Gebäude:
Rohertrag | 51.840 Euro |
./. Bewirtschaftungskosten | ./. 10.462,80 Euro |
= Reinertrag | = 41.377,20 Euro |
./. Bodenwertverzinsung (= Bodenwert × Liegenschaftszinssatz; hier: 3,5 % von 272.000 Euro) | ./. 9.520 Euro |
= Gebäudereinertrag | = 31.857,20 Euro |
× Vervielfältiger | × 25,52 |
= Gebäudeertragswert | = 812.995,74 Euro |
Gebäudeertragswert | 812.995,74 Euro |
+ Bodenwert | + 272.000 Euro |
= Ertragswert des Grundstücks | = 1.084.995,74 Euro |
Mindest-Ertragswert = Bodenwert: 272.000 Euro.
Als Ertragswert ist der höhere Betrag anzusetzen: 1.084.995,74 Euro
Gut zu wissen:
Außenanlagen und sonstige bauliche Anlagen sind mit dem Gebäudewert und Bodenwert abgegolten.
Fazit
Da bei einem Mietwohngrundstück nur ein Bewertungsverfahren zur Anwendung kommt, kann es auch nur einen Wert geben. Das erspart schon mal Streitigkeiten mit dem Finanzamt.
Ein weiterer Vorteil: Durch die Berücksichtigung der tatsächlichen Mieteinnahmen und des Bodenrichtwerts wird der Wert der Immobilie relativ realistisch ermittelt. Das kann gleichzeitig aber auch von Nachteil sein: Denn je gefragter die Wohnlage, desto höher die Mieten – und damit fällt dann auch der Ertragswert entsprechend hoch aus.